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Kritik zu „Wie wilde Tiere: Eine Gewaltstudie, die tief berührt“

„Wie wilde Tiere“ von Rodrigo Sorogoyen: Ein meisterhafter Thriller über wahre Stärke

Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass es sich bei „Wie wilde Tiere“ von Rodrigo Sorogoyen einfach um einen weiteren Genrefilm in der Tradition der unvergesslichen Klassiker „Beim Sterben ist jeder Erste“ von John Boorman oder „Wer Gewalt sät“ von Sam Peckinpah handelt. Schließlich treffen hier wie dort Großstädter auf Provinzler – und zwar mit demselben Ergebnis: nackte Gewalt! Aber der exzellent gespielte und inszenierte Thriller entwickelt dank seiner ambivalenten Figurenzeichnungen sowie einem überraschenden Perspektivenwechsel nach einem zentralen Moment eine ganz eigene Note. Im Mittelpunkt steht hier nämlich gar nicht so sehr die Gewaltspirale, sondern vielmehr die komplexe Frage nach wahrer Stärke.

Antoine (Denis Ménochet) will sich den modernen Traum vom Biobauernhof erfüllen – löst damit aber nur eine kaum noch aufzuhaltende Spirale der Gewalt aus. Der ehemalige Lehrer Antoine und seine Frau Olga sind von Frankreich in ein kleines, beschauliches Bergdorf im Hinterland Galiciens gezogen, um sich dort den Aussteiger-Traum vom einfachen, puren Leben mit einem Biobauernhof zu erfüllen. Allerdings wird das Ehepaar schon bald von der Realität auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt: Während die intellektuellen Franzosen im Landleben das Paradies sehen, empfindet es die überwiegend ungebildete Bevölkerung als eine Hölle aus Maloche, Armut und fehlenden Perspektiven. Antoine und seine Frau werden mit ihrer Zurück-zur-Natur-Mentalität als arrogant empfunden.

Erschwerend kommt hinzu, dass es für die Dorfbevölkerung plötzlich einen unerwarteten Ausweg gibt: Eine Firma bietet eine Menge Geld, um eine Windkraftanlage bauen zu dürfen. Dafür ist aber die Zustimmung aller Parteien notwendig – doch Antoine ist strikt dagegen. Den Ton im Dorf gibt Xan Anta an. Ein zwar oberflächlich freundlicher, aber grober und aufbrausender Geselle, dessen von harter Arbeit gestählter Körper bereits im harschen Kontrast zum dicklichen Bildungsbürger Antoine steht. Ein Frontalzusammenstoß der zwei Welten scheint unausweichlich.

Die spanisch-französische Produktion „Wie wilde Tiere“ heißt im Original „As Bestas“, also „Die Bestien“. „Bestie“ bezeichnet laut dem Duden zwar ein „lästiges, unangenehmes Tier“, aber eben auch einen „durchtriebenen, gemeinen, niederträchtigen Menschen“ – und genau darum geht’s in Sorogoyens Film. Für Verwirrung könnte zudem sorgen, dass erst im vergangenen Jahr das belgische Gewalt-Drama „Animals“ mit dem deutschen Zusatztitel „Wie wilde Tiere“ veröffentlicht wurde. Abgesehen davon ist es aber einfach auch fragwürdig, die schlechten Seiten der Menschheit ständig mit Tieren in Verbindung zu bringen. Schließlich würde sich kein Tier derart abgründig verhalten wie die Menschen in den beiden genannten Filmen.

In „Wie Wilde Tiere“ scheint anfangs noch ganz klar zu sein, wer die Bestien aus dem Titel sind. Auf der einen Seite steht Antoine, ein sympathischer, zu Späßen aufgelegter Knuddelbär, der sich einen im modernen, spätkapitalistischen Leben äußerst populären Traum erfüllen will. Auf der anderen Seite steht der wölfisch wirkende, schwarzäugige Xan, der Antoine zusammen mit seinem geistig beeinträchtigten Bruder Lorenzo drangsaliert. Doch so einfach macht es sich Sorogoyen nicht. Obwohl der Film grundsätzlich bei Antoine bleibt, wird deutlich, dass er nicht ganz unschuldig an der Eskalation ist. Der Ex-Lehrer fängt nach der Vergiftung des Brunnens an, die Anta-Brüder zu filmen, sucht sie in ihrem Zuhause auf und attackiert Lorenzo sogar körperlich, obwohl er zu diesem Zeitpunkt noch gar keinen Beweis hat. Er unterschätzt seine Widersacher, glaubt nicht, dass sie den Mut haben, ihn umzubringen – und sucht bei einem letzten Gespräch in der Bar zwar eine Annäherung, wirkt aber weiter überheblich. Gerade bei diesem letzten Gespräch kriegt Xan Gelegenheit, seinen Standpunkt zu erläutern, die bis dahin einseitige Figurenzeichnung aufzuknacken und deutlich zu machen, dass er handfeste, absolut nachvollziehbare Gründe für seinen Groll gegenüber Antoine hat.

Im totalen Kontrast zu den Männern steht Olga, lange Zeit eine Figur am Rande, schlussendlich dann aber doch ins Zentrum rückende Protagonistin. Antoines Frau schätzt von Anfang an die Lage richtig ein. Sie ist gegen die Filmerei ihres Mannes, ahnt, dass er die Situation nur anheizt, weiß, dass die Antas nichts zu verlieren haben, dass von ihnen große Gefahr ausgeht. Sie ist es, die final für Gerechtigkeit sorgt, aber nicht mit Konfrontation, sondern vernunftgesteuert, mit tiefer Entschlossenheit und ruhiger Beharrlichkeit. Der Film vermeidet aber eine Heroisierung selbst ihrer Figur, sondern zieht stattdessen eine weitere Linie zu den Antas: Zurück bleiben am Ende die Frauen.

„Wie die Tiere“ begeistert dabei aber nicht nur mit einer überragenden, wohlüberlegten Inszenierung, die selbstbewusst auf Zurückhaltung setzt und nicht nur in langen Einstellungen der phantastischen Besetzung Raum zum Glänzen lässt, sondern auch mit einem höchst ungewöhnlichen, äußerst effektiven Einsatz von – minimalistischer – Filmmusik. Fazit: Meisterhafter, intensiver Thriller, hinter dessen simpler Oberfläche sich eine Gewaltstudie verbirgt, die es den Zuschauenden nicht leicht macht, eine Haltung zu den Figuren zu entwickeln. Das sorgt für einen besonders gewaltigen Nachhall.

Schneider

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